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Schnell arbeiten um früher frei zu haben - klingt gut, klappt fast nie. Unser Kooperationspartner t3n erklärt, mit welchen Strategien Du entspannter und produktiver arbeitest.
Fokussiert arbeiten ist klug. Schnell arbeiten führt zu nichts – außer zu mehr Arbeit. Damit bleibt die erhoffte Belohnung meist aus. Selbstständige werden die Idee kennen: Wenn ich in dieser Woche ganz viel schaffe, dann habe ich Ende des Monats Zeit für mich, für Sport, für Weiterbildung und für diesen Roman, der mich schon so vorwurfsvoll anschaut. Was dann passiert, immer: Jemand ruft an und hat noch einen Auftragswunsch, der genau in diese eigentlich freie Zeit hineinpasst. Dieser Auftrag ist vielleicht interessant oder ich kann das Geld gut gebrauchen oder ich habe die Person, die da anfragt, so gern. Und weg ist die Freizeit.
Ich habe so oft versucht, mir Zeit für freies Denken freizuschaufeln. Die Wahrheit ist: Es geht nicht. Schon gar nicht, indem wir schneller arbeiten. Das führt nur zu mehr Arbeit. Der beste Moment für Weiterbildung, eine Auszeit, sich umgucken … ist immer genau jetzt. Vorausgesetzt, jetzt ist gerade nichts Dringendes zu tun.
Viele Menschen versuchen das Gegenteil: Sie hängen sich rein, ackern, freuen sich auf die Freizeit und können dann doch nicht Nein sagen, wenn eine neue Anfrage kommt. Das sehen wir übrigens häufig auch bei Angestellten. Osmose nennt man diesen Vorgang in der Biochemie: Sobald der Schreibtisch halbwegs leer ist, kommt wieder irgendwas drauf.
Abhilfe schafft ein Plan, der stark genug ist, die gewünschte Freizeit wirklich umzusetzen. Management-Gurus empfehlen an dieser Stelle gern, die Freizeit in den Kalender einzutragen. Je konkreter, desto besser. Also so: Ich schreibe heute ganz schnell diesen Artikel und von 13 bis 15 Uhr setze ich mich mit einem Buch in den Garten. 13 bis 15 Uhr blocke ich im Kalender.
Dieses Vorgehen bringt zwei dicke Probleme mit sich:
Disziplin kann eine Lösung sein, die an vielen Tagen funktioniert. Und an vielen nicht, denn die meisten von uns arbeiten mit Menschen zusammen, die sie mindestens respektieren, schlimmstenfalls sogar mögen. Wer kann da schon Nein sagen?
Menschen streben. Das taten sie schon immer und das ist gut so. Das Streben der Menschen brachte uns das Rad, den Staubsauger, die elektrische Heckenschere und Beatmungsgeräte in Krankenhäusern. Streben ist wichtig. Nur können die Menschen es eben auch nicht bleiben lassen. Es fühlt sich zu gut an, produktiv zu sein. Es fühlt sich für manche schlecht an, sich zu regenerieren oder ihren Geist zu nähren. Wenn, dann höchstens als Gönnung oder als heimliches Vergnügen.
Doch das ewige Streben ist kein effizienter Mechanismus. „Mehr“ ist oft nur eine etwas hilflose Form, den Anforderungen des Lebens zu begegnen. Mehr machen, mehr Ja sagen, mehr Aufträge annehmen und mehr Geld verdienen – alles prima. Doch im Hamsterrad entstehen weder Kreativität noch gute Leistungen – und voran kommt niemand. Nur wer sich die Welt anschaut, kann gute Produkte und Dienstleistungen liefern. Gelebter Hedonismus wird so zum Erfolgsfaktor.
Gleichzeitig schadet sich der Mensch mit permanentem Streben auf Dauer selbst. Die Leistung leidet, die Qualität und das Wohlbefinden. Und natürlich: Alle möglichen Menschen sind die große Ausnahme, halten sich dafür oder tun so, als wären sie es. Diese Leute, denen alles leichtfällt, deren Energie unerschöpflich wirkt. Nur gibt es, neurologisch betrachtet, eben keine Ausnahmen. Die „bei mir ist das nicht so“-Haltung muss deshalb immer ein Trugschluss sein. Menschen haben Ressourcen, diese Ressourcen sind erneuerbar. Doch je stärker sie ausgebeutet werden, desto schwieriger wird es mit der Erneuerung. Das wird ineffektiv. Dinge dauern länger und Nein sagen wird nur noch schwerer, weil auch dafür die Ressourcen fehlen.
Doch der Vorteil einer Berufstätigkeit mit freier Zeiteinteilung ist die freie Wahl. Und damit auch die Möglichkeit, jederzeit selbst zu priorisieren. Freiberufler und Selbstständige tun gut daran, ihren Ideen zu folgen. Die meisten sind sehr gut in der Lage, den Zeitbedarf ihrer Arbeit einzuschätzen. Dann spricht folglich auch nichts dagegen, einen Teil dieser Zeit abzuteilen, um etwas anderes zu machen. Das Umgekehrte passiert schließlich auch: Ein wunderschöner Freizeittag wird durchbrochen von „kleinen“ Rückfragen, wichtigen Anrufen, Ideen, die niedergeschrieben werden wollen. Die Scham, einen Arbeitstag spontan umzuwidmen, ist also vollkommen unangebracht. Die Arbeit schämt sich ja auch nicht, einen eigentlich freien Tag zu infizieren. Wer immer wieder aufschiebt, immer wieder wartet, bis der passende Moment gekommen ist, der wird sich am Ende fragen, warum er seine Ideen nie umgesetzt hat.
Eine Freundin von mir schreibt Romane, immer einen nach dem anderen. Sie hat schon die nächsten Verträge – aber diese Woche verbringt sie mit Gartenarbeit. Sie hat recht. Vor allem hat sie aber gut geplant. Wer einen guten Überblick über seine Projekte hat, dem wird ein wenig Freizeit helfen, eben diese Projekte besser umzusetzen. Diese Freizeit darf auch spontan entstehen. Klug ist, wer Momente des Müßiggangs erkennt und einzusetzen weiß.
Veröffentlicht
12.05.2021
Author:in
Isabell Prophet