Kann man Karriere nur durch einen Jobwechsel machen?

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"Der Rat der Weisen": Macht man echte Karriere nur durch einen Jobwechsel?

Endlich Karriere machen! Gerne mit einem ordentlichen Gehaltssprung!  Das geht nur, wenn man die Firma wechselt, glauben viele. Und was meint unser Experte Bernd Slaghuis?


„Der Rat der Weisen“ von Bewerbung.com ist eine Gruppe hochkarätiger Personal- und Karriereexperten, die regelmäßig Tipps rund um Bewerbung, Gehalt und Karriere geben. In dieser Folge beantwortet unser Weiser Bernd Slaghuis*  diese Frage: 

Bernd Slaghuis, Karriere-Coach"Herr Slaghuis, kann man echte Karriere wirklich nur durch Jobwechsel machen?"

Bernd Slaghuis: "Ja, manche Angestellte sind immer noch der Meinung, dass Karriere machen nur durch regelmäßige Arbeitgeberwechsel möglich ist. Sie haben das Bild des kleinen Azubis im Kopf, der im gleichen Unternehmen nicht groß werden kann. Sie denken als langjährig treue Mitarbeiter an ihre letzten Gehaltssprünge in Höhe des Inflationsausgleichs und sind sich sicher, dass bei einem Wechsel deutlich mehr Geld drin wäre. Sie sehen neu eingestellte Kollegen für Positionen, auf die sie selbst schon seit Jahren schielen, doch ihr Chef nicht daran denkt, sie intern weiterziehen zu lassen. Es liegt so nah, dass der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber Erfolg versprechender erscheint als intern an Karriere zu arbeiten.

Moment mal! Was heißt eigentlich Karriere für Sie?

Sicher, geht es Ihnen darum, in kurzer Zeit Ihr Gehalt zu steigern, dann ist es ratsam, durch Arbeitgeberwechsel innerhalb einer Branche zügig geradlinig aufzusteigen und stark zu verhandeln. Denn bei einem externen Wechsel ist im Durchschnitt mehr drin als bei einer internen Beförderung. Doch bevor Sie jetzt mit €-Zeichen in den Augen Ihre Kündigung schreiben, rate ich zu einem Moment der Besinnung – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn was bedeutet eigentlich „echte“ Karriere für Sie? Woran machen Sie persönlich fest, dass Sie Karriere machen? Was zeichnet für Sie heute und in Zukunft wirklich eine gute berufliche Entwicklung aus? Ist Gehaltssteigerung alles? Geht es um mehr Status und Ansehen durch wichtiger klingende Titel, um mehr Macht und Einfluss, höhere Budgets, verantwortungsvollere Aufgaben oder als Führungskraft um mehr Mitarbeiter? Oder sind es andere Dinge, die Sie an einen Arbeitgeber binden oder zu einem Wechsel veranlassen?

Jobwechsel nur für die Karriere sind die absolute Ausnahme

Ich habe in den letzten Jahren viele Angestellte bei beruflichen Veränderungen begleitet. Unter ihnen war niemand, der seinen Arbeitgeber Karriere getrieben verlassen wollte, nur weil zwei Jahre ins Land gezogen sind. Einige sehnen sich nach fünf oder zehn Jahren nach einem Tapetenwechsel, weil ihnen langweilig geworden ist, die Herausforderungen fehlen oder sie die Nase voll haben von einer Branche, mit der sie sich nach tiefen Einblicken nicht mehr identifizieren können. Sie wechseln, weil das Arbeitsumfeld aus Chefs, Kollegen oder Kunden nicht mehr passt, ihnen der Sinn abhandengekommen ist oder sie erkannt haben, dass sie tatsächlich für andere Themen brennen. Nach zwei Jahren einfach den Job zu kündigen, nur um die große „Karriere“ zu machen, auf diese Idee kommt doch niemand.

Viele Angestellte sehnen sich nach langfristiger Sicherheit

Ganz im Gegenteil: Meine Wahrnehmung ist, dass sich immer mehr Angestellte und insbesondere junge Menschen nach Sicherheit und langfristiger Bindung an einen Arbeitgeber sehnen. Es zieht inzwischen viele Berufseinsteiger eher in den etablierten Traditionskonzern oder sogar in den öffentlichen Dienst statt in ein cooles Startup, dessen Zukunft in den Sternen steht. Ich kenne niemanden, der freiwillig alle zwei Jahre Lust hat auf Bewerbungen schreiben und Vorstellungsgespräche meistern. „Sie müssen für die Karriere alle zwei Jahre wechseln!“ ist aus meiner Sicht mehr mediale Panikmache mit Karrieredenke von gestern als ein „echter“ Karrieretipp für die Arbeitswelt der Zukunft.

Karriere ist persönliche Ansichtssache

Vielleicht ist auch Ihnen wie vielen meiner Klienten Kollegialität und Zugehörigkeit wichtig. Teil eines Teams und bei einem Arbeitgeber angekommen zu sein. Produkte, Strukturen und Prozesse verstanden und ein verlässliches internes Netzwerk aufgebaut zu haben. Vielleicht macht Ihnen Ihre Arbeit große Freude und Sie empfinden sie als sinnvoll und tief erfüllend. Warum sollten Sie dann wechseln, nur weil „man“ es für irgendeine Karrieren so zu tun hat? Mein Rat: Wechseln Sie dann, wenn es für Sie und Ihre Lebenssituation stimmig ist. Machen Sie Schluss mit fremdbestimmter Lebenslaufhygiene. Als Chef Ihres eigenen Lebens dürfen Sie entscheiden, was Karriere für Sie bedeutet und was ein guter Zeitpunkt für den nächsten Schritt in Ihrer beruflichen Entwicklung ist – intern oder extern und in welche Richtung auch immer." *Der Weise: Karriere- und Business-Coach Dr. Bernd Slaghuis (www.bernd-slaghuis.de) ist Experte für berufliche Neuorientierung, Bewerbung und gesunde Führung. Als Vorstandsassistent und ehemalige Führungskraft kommt er aus der Praxis. Der Systemische Coach und promovierte Ökonom steht für ein neues Karriere-Verständnis. Seit 2011 arbeitet er in seinem Kölner Büro mit Angestellten und Führungskräften an ihren nächsten Schritten im Beruf und mit Bewerbern an ihrer individuellen Bewerbungsstrategie. Sein Blog „Perspektivwechsel“ zählt zu einem der meistgelesenen Karriere-Blogs in Deutschland. Er ist XING Branchen-Insider, Kolumnist und Gastautor für diverse Karriere- und Management-Magazine. Slaghuis hält deutschlandweit Vorträge, moderiert Workshops und gibt Seminare.


Service-Info: Mehr Tipps rund um das Thema Karriere finden Sie in unserer umfangreichen Artikelsammlung.

Veröffentlicht
30.11.2018