Zwei multirassische Mädchen machen Herz Zeichen gegen roten Hintergrund © Anna Frank / Getty Images

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Abwerbung, Diskriminierung & Co: Wo liegen die ethischen Grenzen im Recruiting?

Einen Bewerber aus vielen auszuwählen, ist niemals eine einfache Aufgabe. Doch schnell werden hierbei auch ethische Grenzen überschritten. Wo also liegen sie und wie können sie gewahrt werden? Lies hier die Antworten!


Zusammenfassung:
Der Artikel beleuchtet die ethischen Grenzen im Recruiting, die häufig durch den Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter herausgefordert werden. Er zeigt auf, wie Abwerbung und Bewerberauswahl rechtlich und ethisch korrekt durchgeführt werden können, ohne dabei Grauzonen zu betreten. Zudem wird betont, wie wichtig klare, unternehmensseitige Richtlinien und Schulungen sind, um Diskriminierung und unlautere Methoden zu vermeiden. Ethisches Recruiting wird als Chance für das Unternehmen dargestellt, das Image und Employer Branding zu stärken.

 

Um qualifizierte Bewerber herrscht auf dem Arbeitsmarkt ein regelrechter Kampf. Durch den Fachkräftemangel wird er weiter verstärkt. Sich in Grauzonen zu bewegen oder sogar die Grenzen der Legalität zu überschreiten, kann deshalb verlockend sein, um die besten Kandidaten für das eigene Unternehmen zu gewinnen – und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Doch das Recruiting ist keine rechtsfreie Zone und auch das Image eines Unternehmens kann stark unter fragwürdigen Methoden der Personalgewinnung leiden. Ebenso kann es passieren, dass gesetzliche oder ethische Grenzen bei der Bewerberauswahl überschritten werden, sei es bewusst oder unbewusst. Klare Regeln zu definieren, wenn es um das Recruiting geht, ist deshalb für jedes Unternehmen wichtig. Die gesetzlichen Vorgaben stellen dabei nur das Minimum dar, doch zusätzlich gilt es, selbst die ethischen Grenzen festzulegen, die von den Personalern nicht überschritten werden dürfen.

Von der Konkurrenz abwerben – ja oder nein?

Ein großer Stolperstein im Recruiting ist die Abwerbung von Mitarbeitern bei anderen Unternehmen, vielleicht sogar bei der direkten Konkurrenz. Eine solche Abwerbung ist prinzipiell erlaubt, aber gesetzlich streng geregelt, sprich es dürfen keine unlauteren Methoden zur Anwendung kommen. Zudem sollte Dir bewusst sein, dass der Mitarbeiter wahrscheinlich strenge Geheimhaltungsvereinbarungen unterzeichnen musste.

Sein Know-how kann daher oft nur bedingt zum eigenen Vorteil genutzt werden – vor allem in einer Konkurrenzsituation. Die Direktansprache und das klassische Headhunting sind daher nicht in jedem Fall sinnvoll. Sie können sich aber vor allem bei der Anwerbung von Fach- und Führungskräften bewähren. Denn diese sind oft nicht aktiv auf Jobsuche, durchaus aber für attraktive Jobangebote offen. Wichtig ist dann, folgende Grenzen zu wahren:

  • Keine Kontaktaufnahme beziehungsweise Abwerbung direkt am Arbeitsplatz.
  • Keine Abwerbung bei der direkten Konkurrenz, wenn dadurch dem Unternehmen ein vorsätzlicher Schaden zugefügt werden soll.
  • Keine konkreten Aufforderungen zum Vertragsbruch oder sogar die Ausübung von Druck.
  • Keine Aufforderungen zur sofortigen, sprich fristlosen Kündigung (beispielsweise durch das Angebot, eine Vertragsbruchstrafe zu übernehmen).
  • Keine Verbreitung von Lügen, negativen oder irreführenden Äußerungen über den aktuellen Arbeitgeber.
  • Keine Abwerbung bei der Konkurrenz in großem Umfang.
  • Keine falschen Versprechungen, die nach der Kündigung des Arbeitnehmers nicht eingehalten werden.
  • Keine Einschaltung beziehungsweise Bestechung von Kollegen oder Führungskräften, um bei der Abwerbung von Mitarbeitern zu helfen.

Werden diese Grundregeln nicht eingehalten, drohen unter Umständen rechtliche Konsequenzen wie Schadensersatzforderungen. Diese allgemeingültigen Grenzen zu kennen und einzuhalten, ist daher essentiell für jeden Personaler beziehungsweise Headhunter. Darüber hinaus können und sollten auch eigene Grenzen definiert werden – wie vorab erwähnt –, um die Integrität und das Image des Unternehmens zu wahren. Abwerbung ja, aber nicht um jeden Preis, lautet daher die Devise. Dann kann sie ein erfolgreiches Mittel sein, um Vakanzen qualifiziert zu besetzen.

Hintergrund des Konzepts der Nutzung einer Internet-Suchleiste für die Stellensuche. © mesh cube / Getty Images
In Zeiten des Fachkräftemangels sind neue Strategien erforderlich, um als Unternehmen noch ausreichend Mitarbeiter zu rekrutieren. Ungewöhnliche Wege zu gehen oder Grauzonen zu betreten, wie die Abwerbung von der Konkurrenz, ist dabei manchmal notwendig. Doch wo liegen die Grenzen? 

AGG: Vorsicht bei der Bewerberauswahl

Ein weiterer häufiger Stolperstein im Recruiting ist die Bewerberauswahl. Auch dabei werden schnell ethische Grenzen überschritten, manchmal völlig unbewusst. Hier ist vor allem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, relevant. Es regelt, dass in Stellenausschreibungen sowie Bewerbungsprozessen keine Diskriminierung stattfinden darf. Bewerber dürfen demnach nicht aufgrund von 

  • Alter,
  • Behinderung,
  • ethnischer Herkunft,
  • Geschlecht,
  • Religion,
  • sexueller Orientierung oder
  • Weltanschauung

benachteiligt werden. Diese Formulierung ist allerdings sehr vage und im Zweifelsfall muss das Unternehmen nachweisen können, dass es im Bewerberauswahlverfahren keine Ungleichbehandlungen gab. Einerseits ist es daher wichtig, die Bewerbungsprozesse umfassend zu dokumentieren. Andererseits sind auch an dieser Stelle klare Regeln notwendig, wie eine Diskriminierung im Unternehmen vermieden wird – und wie sich dies beweisen lässt.

Ziel sollte sein, ein faires sowie gleichberechtigtes Auswahlverfahren zu kreieren. Dabei müssen mehrere Entscheider beteiligt sein, damit subjektive Meinungen an Gewicht verlieren. Zudem kann es sich lohnen, auch innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Tests via App zu nutzen, um die Bewerber umfassender sowie objektiver zu bewerten und dadurch fairere Entscheidungen zu treffen. 

Denn wenn es um die Diskriminierung geht, liegen die Stolpersteine vor allem in der menschlichen Psychologie. Es lässt sich nicht verhindern, dass das Gehirn sekundenschnell Rückschlüsse über eine bis dato fremde Person zieht. Diese beruhen jedoch auf individuellen Erfahrungen und Interpretationen, was völlig unbewusst zu einer Diskriminierung führen kann. Das Gehirn findet daraufhin scheinbar objektive Gründe, weshalb die Person nicht die passende Besetzung ist, um die bereits getroffene Entscheidung zu rechtfertigen.

Die Recruiter für diese Thematik zu sensibilisieren, sie ausgiebig zu schulen und klare Kriterien für ihre Entscheidungen einzuführen, ist deshalb ein guter Anfang. Ebenso sollten die Prozesse möglichst transparent gestaltet werden und regelmäßige Kontrollen empfehlen sich, entweder gegenseitig oder durch externe Experten. So gibt es zwar keine Garantie, dass es niemals zu einer unbewussten – oder bewussten – Ungleichbehandlung kommt. Zumindest lässt sich das Risiko aber deutlich minimieren.

Konzeptbild eines AI-Symbols, das mit einer Sprechblase über ihm schwebt, um einen digitalen Chatbot mit künstlicher Intelligenz zu illustrieren. © J Studios / Getty Images
Noch vor wenigen Jahren klang es nach Zukunftsvision, jetzt ist es längst Realität: Immer häufiger wird im Recruiting Künstliche Intelligenz eingesetzt, um verschiedene Aufgaben zu unterstützen oder vollständig zu automatisieren. Ist das für Dich als Bewerber eine Chance oder ein Risiko? 

Fazit

Die ethischen Grenzen im Recruiting zu wahren, ist manchmal ein schmaler Grat. Die eigenen ethischen Bedenken sind aber zumindest ein guter Ratgeber und sie können als hilfreiche Orientierung dienen: Dass Lügen, falsche Versprechungen, die Verbreitung von Gerüchten oder Ungleichbehandlungen nicht zulässig sind, liegt daher auf der Hand und ist auch den meisten Personalern bewusst.

Dennoch gibt es auch Grauzonen, in denen Fingerspitzengefühl sowie klare, unternehmensseitige Regeln notwendig sind. Wichtig ist es zudem, jederzeit die Vertraulichkeit, den Datenschutz sowie die Gleichberechtigung zu wahren. Dies gilt selbst bei persönlichen Kontakten oder internen Bewerbern. Bewährte Maßnahmen für ethisches Recruiting sind daher zum Beispiel regelmäßige Schulungen, klare ethische Richtlinien, eine offene Kommunikation innerhalb der Abteilung für Feedback und eine kontinuierliche Verbesserung sowie externe Audits und Zertifizierungen.

Je früher sich ein Unternehmen mit diesem Thema beschäftigt, desto schneller kann es Chancen wie die Direktansprache für sich nutzen, ohne rechtliche oder andere negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Im Gegenteil: Durch klare ethische Richtlinien (nicht nur) im Recruiting profitiert das Image und damit das Employer Branding des Unternehmens, was noch viele weitere Vorteile mit sich bringt. Ethisches Handeln sollte daher nicht als Hindernis, sondern als wertvolle Chance betrachtet werden.

Veröffentlicht
13.08.2024

Author:in
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